Neurogene Sprachstörung (Aphasie)

Definition:

Unter einer Aphasie versteht man den völligen oder teilweisen Verlust der schon vorhandenen Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken und Sprache zu verstehen, obschon Sprech- und Hörorgane intakt sind.

Aphasien entstehen durch hirnorganische Prozesse, sind also zentral-neurologische Störungen.

Im Unterschied zur Dysarthrophonie, bei der die Betroffenen sich sprachlich inhaltlich völlig adäquat ausdrücken und „nur“ die Steuerung von Artikulation, Stimme und Atmung beeinträchtigt ist, kommt es bei Aphasiker*innen zu inhaltlichen sowie grammatikalischen und syntaktischen Fehlleistungen.

Nicht nur Sprechen und Verstehen sind bei Menschen mit Aphasie betroffen, sondern auch Lesen und Schreiben.

Es gibt sehr unterschiedliche Ausprägungsformen von Aphasien. Manche Menschen sind nur leicht betroffen und klagen hauptsächlich über Wortfindungs-Schwierigkeiten. Andere sind nicht mehr in der Lage, vollständige Sätze zu bilden. Wieder andere verwechseln Worte und Buchstaben. Einige Betroffene sind nahezu überhaupt nicht mehr in der Lage, sich sprachlich auszudrücken.

Die meisten Aphasiker*innen sind in ihren Denk-Prozessen nicht betroffen. Im außer-sprachlichen Bereich können sie so wie vor ihrer Erkrankung Dinge erfassen, verstehen, abstrahieren und anwenden. Doch sobald sprachliche Leistungen gefordert sind, kommt es zu Schwierigkeiten. Begleitend zur Aphasie können jedoch auch nicht-sprachliche Symptome auftreten, die Teile der generellen Denk- und Verarbeitungsprozesse beeinträchtigen.

 Typische aphasische Symptome sind:

  • Wortfindungsstörungen
  • Sprachanstrengung
  • Sprachverständnisstörungen
  • Stereotypien (stereotypes Wiederholen mehr oder weniger passender Äußerungen)
  • Perseverationen (Haften bleiben an einer Vorstellung mit erschwerter Umstellung auf ein neues Thema)
  • Automatismen (Hervorbringen von immer den gleichen Wörtern oder Silben, die nicht in den Kontext passen)
  • Äußerung inhaltlich falscher Worte (mit mehr oder weniger inhaltlicher Ähnlichkeit zum eigentlichen Zielwort)
  • Lautersetzungen (Vertauschung, Ersetzung, Auslassung oder Hinzufügung falscher Laute im Wort)
  • Störung des Abrufes von Sprechbewegungen (artikulatorische Apraxie)
  • Wortneuschöpfungen
  • Jargonsprache (Sprache, die so stark durch Wortneuschöpfungen gekennzeichnet ist, dass das Gesagte unverständlich bleibt)
  • floskelhaftes Sprechen
  • Grammatik-Störung
  • Satzbau-Störung bis hin zum Telegramm-Stil
  • eingeschränkter oder übersteigerter Sprachantrieb
  • Störung der Sprachmelodie
  • Störung der Lesefähigkeit
  • Störung der Schreibfähigkeit
  • eingeschränktes Sprachgedächtnis

Im Groben wird unterschieden zwischen flüssigen und nicht-flüssigen Aphasien.

Menschen mit flüssigen Aphasien zeigen wenig Sprachanstrengung. Sie sprechen in ganzen Sätzen mit meist adäquater Sprachmelodie, jedoch vertauschen sie Laute, Wörter und ganze Satzteile oder zeigen andere aphasische Symptome, die ein Verstehen der Äußerungen zum Teil stark erschweren.

Menschen mit nicht-flüssigen Aphasien hingegen zeigen eine deutliche Sprachanstrengung. Die Sätze sind kurz und lückenhaft, es kommt zu starken Wortfindungsstörungen und anderen Symptomen, die den Sprachfluss beeinträchtigen. Das Störungsbewusstsein und der Leidensdruck sind bei nicht-flüssigen Aphasien häufig etwas größer als bei flüssigen Aphasien.

Zusätzlich können bei Aphasien noch eine Reihe anderer, nicht-sprachlicher Symptome hinzukommen. Meist liegt eine Halbseitenlähmung vor (bei Rechtshändern nahezu immer rechte Seite gelähmt, bei Linkshändern meistens linke Seite gelähmt).

Ursachen:

Die Ursache einer Aphasie zeigt sich grundsätzlich in einem hirnorganischen Prozess. Das heißt, dass durch eine Schädigung im Gehirn gewisse Regionen betroffen sind, die für die Sprachproduktion und das Sprachverstehen nötig sind.

Die Ursachen sind im Einzelnen:

  • Hirnblutungen
  • Hirnembolien
  • Hirngefäßthrombosen
  • Verletzungen der das Gehirn versorgenden Blutgefäße durch Unfälle oder Operationen
  • Hirnverletzungen durch Unfälle oder Operationen
  • Hirntumoren
  • Enzephalitis (Gehirnentzündung)
  • Hirnatrophien
  • Migraine accompagnée (Kombination von Migräne und epileptischen Anfällen)
  • Multiple Sklerose und andere degenerative Erkrankungen.

Behandlung:

Nach einer ausführlichen Diagnostik erfolgt je nach Stadium und Ausprägung der Störung eine individuell auf die jeweilige Symptomatik abgestimmte Behandlung.
Dabei gibt es keine echte grundsätzliche Therapie der Wahl, sondern vielmehr nur eine Reihe allgemeiner Grundsätze.
Meist ist bei erwachsenen Aphasiker*innen, bei denen das schädigende Ereignis schon länger als etwa 4 Monate zurück liegt, leider keine Heilung, sondern lediglich eine Besserung der Aphasie zu erwarten.
Da bei Aphasiker*innen wichtige Sprach-Regionen im Gehirn geschädigt sind, ist das neue Erlernen von Sprache nicht mit dem Spracherwerb eines Kindes oder dem Erlernen einer Fremdsprache zu vergleichen. Die Aufgaben der geschädigten Regionen müssen von anderen Bereichen im Gehirn übernommen werden, neue Verknüpfungen müssen gebahnt werden, und Kompensationsstrategien müssen erlernt werden.
Ziel der Aphasietherapie ist immer die Verbesserung oder Wiederherstellung der Kommunikationsfähigkeit. Es geht vorrangig nicht um eine Normalisierung der Sprache, sondern um die Wiedererlangung einer Verständigungsmöglichkeit in Gesprächssituationen mit den wieder verbesserten aber dennoch reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten.
Das therapeutische Vorgehen verläuft klar strukturiert in Einzelschritten, ist gekennzeichnet von vielen variierenden Wiederholungen und erfolgt in allen Bereichen der Sprache (Wortschatz, Satzbau, Grammatik, Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben,…).
Je nach Ausmaß der Störung müssen kompensatorische Mittel wie Kommunikationstafeln, Gestik, Mimik,… eingesetzt werden. Da jedoch bei starken Schädigungen häufig auch nicht-sprachliche Verarbeitungsprozesse beeinträchtigt sind, muss auch der Umgang mit diesen Hilfsmitteln geübt und vermittelt werden

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